Wohlwollen – vor allem Dir selbst gegenüber

Ich glaube, unserer Gesellschaft fehlt es manchmal an Wohlwollen miteinander. Wie oft sich Menschen auf offener Straße oder an Supermarktkassen anbrüllen oder angiften, anstatt sich behilflich zu sein. Wie oft ich Gespräche miterlebe und sicherlich auch selbst schon geführt habe, in denen andere Menschen bewertet oder abgewertet werden. Woran liegt das? Diese kritische Grundeinstellung anstelle des Mitgefühls? Zu viel los, zu große Städte, zu viele Menschen auf einem Haufen? Zu wenig Zeit und zu viel zu tun? Oder schlicht daran, dass wir mit uns selbst genauso wenig wohlwollend umgehen wie mit der Außenwelt? Wie wohlwollend bist Du? Mit anderen Menschen, mit unvorhersehbaren Situationen, mit Dingen, die Du nicht verstehst? Vor allem aber mit Dir selbst? Hast du Mitgefühl mit Dir, wenn Du traurig bist? Verstehst Du deine Emotionen? Oder kannst Du – wie wohl die meisten von uns – andere meistens besser verstehen als dich selbst? Kannst du deiner Familie Wohlwollen entgegen bringen, verurteilst dich aber tendenziell selber, wenn es bei dir mal nicht rund läuft?

Unter Druck

Wir alle kennen das Gefühl, wenn wir einen schlechten Tag haben. Schon morgens verschüttest Du versehentlich deinen Kaffee in der Küche, hast Dein Shirt auf links an und bist irgendwie nicht so ganz bei der Sache. Weil aber grade morgens alles schnell gehen muss, reagierst du genervt auf die nicht reibungslos funktionierende Routine und ärgerst dich. Und glaubst unter anderem auch schon zu wissen: Okay heute wird wohl nicht mein Tag. Fortlaufend passieren dir immer wieder kleine tollpatschige Dinge und am Abend glaubst du, der Tag war mega unerfolgreich. Lief alles kacke.

Ich habe morgens nicht viel Zeit, alles muss eigentlich funktionieren wenn es klappen soll. Haben wir unseren Patenhund Leni bei uns, dann wohl noch mehr. Dann den Spaziergang presse ich – wenn ihn nicht sowieso mein Partner macht – irgendwo dazwischen und hetze durch den Wald. Passiert während dessen dann etwas unvorhergesehenes bin ich schnell überfordert und gestresst, ich habe doch jetzt keine Zeit. Passiert mir leider auch immer wieder, obwohl ich das alles ganz genau weiß. Ich finde mich immer wieder auf dem letzten Drücker wieder, bin zu spät dran und kann auch generell offenbar nicht gut einschätzen wie lange ich für etwas brauche. Mein Freund ist ungefähr doppelt so schnell wie ich. Und ich bin jedes Mal überrascht, wenn er die gleiche Tätigkeit oder die gleiche Fahrstrecke doppelt so schnell hinter sich bringt wie ich. Ich meine: Ich stehe an jeder roten Ampel, habe jemanden vor mir der langsam fährt und schleiche so durch den Verkehr. Aber daran kann ich doch nichts ändern. Darauf habe ich keinerlei Einfluss. Als wir ein Auto abholen müssen und genau die gleiche Strecke gleichzeitig zu fahren haben, fragt er mich zu Hause (wohl bemerkt schon beim ausräumen der Spülmaschine): Wo warst du???? Große Augen, Unverständnis. Ich bin schon seit 15 Minuten hier. Ja, herzlich willkommen in meinem Zeitplan. Wie geht das? Er ist nun auch niemand der wie eine gesenkte Sau die Spuren wechselt und wie wild hupt oder etwas in der Art. Wie schaffe ich es also, so lahmarschig zu sein während er so viel schneller ist und so natürlich auch deutlich mehr geschissen kriegt als ich?

Diese Frage beschäftigt mich schon eine Weile. Hinzu kommt, dass ich selbst einfach gar nicht abschätzen kann, wie lange ich für etwas brauche. Und ich scheine auch mehr Ruhephasen zwischendurch zu benötigen. Kleine Erholungspausen, in denen ich mich mal kurz setzen und durchatmen kann. Hetze ich nur so von A nach B, habe ich schnell so rein gar keine Lust mehr.

Sich selbst pushen

Gut, das mit der Einschätzung und der Schnelligkeit ist das eine Problem. Hier kommt jetzt aber das A und O hinzu: Wie verständnisvoll bin ich dabei mir mir selbst? Schließlich kann ich das als okay beurteilen und verstehen, dass ich wohl einfach ein anderer Mensch als mein Freund bin. Oder ich versuche wie wild, schneller zu werden, zu hinterfragen und mich selbstverständlich selbst zu hassen, weil ich so eine unfassbar lahme Ente bin. Ich identifiziere mich dabei durchaus mit einem Koala, aber finde ich das gut? Nein, leider nicht. Ich pushe mich also und bin dabei im Verurteilungsmodus. Was dazu führt, noch weniger bei der Sache zu sein und natürlich Fehler zu machen. Und dadurch am Ende noch langsamer zu werden. Ein Teufelskreis.

Wir neigen in unserer Gesellschaft dazu, uns zu pushen. Häufig, weil wir einfach nicht genug Zeit haben für alles was wir gern tun möchten. Nicht nur das, daneben stehen noch unzählige Verpflichtungen, wir kümmern uns um vieles und versuchen alles unter einen Hut zu bekommen. Wir kümmern uns um unsere Familie, um unsere Kinder, Hunde, die Nachbarn und deren Kaninchen, um den Haushalt, den Einkauf und die Steuererklärung. Und nicht zuletzt (hoffentlich) um uns und unsere Fitness und Gesundheit ebenso wie unseren Geldbeutel. Das alles ist kann einem schnell mal zu viel werden. Und so hetzen wir durch unseren Tag. Um Hilfe zu bitten oder nein zu sagen fällt uns eher schwer – wir wollen es erstens gern selbst in der Hand haben und zweitens ja auch bloß nicht unfreundlich sein. Ein guter Mensch eben. Doch wie gut sind wir denn zu uns selbst, wenn wir nur immer mehr pushen und hetzen? Wie Wohlwollend sind wir uns selbst gegenüber dabei? Wir laden so viel auf unsere eigenen Schultern – auch weil wir einen anderen – den Partner etwa, sehen und ihm etwas abnehmen wollen. Und das ist durchaus etwas schönes. Aber sehen wir dabei auch uns?

bewerten und vergleichen

Nicht nur, sich zu pushen in hierzulande üblich, sondern auch das bewerten anderer Menschen. Ich kenne unzählige Bewertungen, die mir täglich begegnen. Auf der Arbeit, auf der Straße, überall. Anstatt jemanden offen zu fragen, was ihn bewegt hat etwas zu tun, überlegen wir das lieber mit einem Dritten. Was der sich wohl dabei gedacht hat – verstehen wir irgendwie nicht. Das ist total gängig bei uns – eine ganz normale Unterhaltung unserer Gesellschaft. Ich denke, jeder hat das schon einmal getan. Aber streng genommen ist das auch ein bisschen feige, oder? Denn im Kern trauen die meisten sich nur einfach nicht, offen die Adresse der Verwunderung anzusprechen und mal zu fragen, was da bitte hinter steckt. Wir neigen dazu, lieber jemand anderen zu fragen, mit einem großen Fragezeichen überm Kopf. Wir gestehen jemandem nicht zu, eine andere Meinung oder Sichtweise zu haben. Wir stehen auf unserer Insel und können so auch nur unser Land sehen. Und wenn wir das im Außen schon so oft tun, wie oft tun wir das dann in unserem Inneren?

Wie oft vergleichen wir uns mit anderen und verstehen uns selbst nicht? Warum bin ich nicht so schön, schnell, freundlich, gut strukturiert, dünn und und und wie der andere?

In einer Welt deren Wirtschaft darauf basiert, einen Mangel anzuzeigen und einen Verkauf für etwas, was man haben sollte zu generieren, ist es wohl ganz normal, sich selbst zu verurteilen und weder sich selbst noch andere zu verstehen. Das haben wir nicht gelernt, hat uns niemand begebracht. Leider. Denn freundlich zu sich und seinen Mitmenschen zu sein hat so etwas kraftvolles. Sich untereinander behilflich zu sein und offen zu begegnen lässt Nähe entstehen, was unmittelbar zu einem Sicherheitsempfinden führt. Alles Dinge, die wir brauchen können. Heute mehr denn je. In kleinen Gemeinden oder auf dem Lande ist das auch noch eher so, als in Metropolen, wie sich die Menschen zwar tummeln, aber sich trotzdem voneinander entfernen.

Sich einander annähern

Wir können uns aber dazu entscheiden, es mal ander zu versuchen. Unser Herz weiter werden zu lassen und nicht sauer sondern mitfühlend zu reagieren. Einfach mal an der Kasse zu fragen: Möchten Sie vielleicht vor? Oder sich Hilfe anzubieten. Mal zu fragen, warum etwas so gelaufen ist oder sich jemand so verhält. Yoga bezieht sich immer auch auf das Verhalten sich selbst und auch anderen gegenüber. Yoga ganzheitlich zu integrieren heißt auch zu schauen, wie wir es ein bisschen besser machen können. Dazu zählen nicht nur Freundlich zu einander zu sein und anderen gegenüber ehrlich sondern auch uns selbst gegenüber. Und ich glaube, einfach alles beginnt bei uns selbst. Wenn ich als erstes schaue, was ich brauche und wie ich freundlich und liebevoll zu mir selbst sein kann, folgt darauf ganz automatisch, dass ich auch mit anderen Menschen so bin. Wenn ich mir selbst wohlgesonnen begegne und mich nicht für alles verurteile, dann habe ich auch keinen Grund mehr, dies mit anderen zu tun. Natürlich ist all das ein Prozess und wir beginnen ganz zaghaft Schritt für Schritt. Solch lang genutzte Muster lassen sich nicht mal eben durchbrechen. Aber wir können beginnen indem wir beispielsweise in eine Yogaklasse gehen und während dessen achtsam und wohlwollend mit uns selber sind. Für eine Stunde. Schon das allein reicht aus, um den Samen zu säen. Und wenn wir diesen Samen regelmäßig gießen, wird irgendwann mehr daraus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert