Hattest Du schon einmal so heftige Gefühlswallungen, dass Du dachtest, Du hältst es nicht aus? Bestimmt kennst Du einige Situationen, in denen Du Emotionen hattest, die du lieber nicht haben wolltest, die Du vielleicht nicht einmal verstanden hast und die äußerst unangenehm waren. Immer wieder geraten wir in Augenblicke unangenehmer Empfindungen oder auch Gefühle, die als schlecht angesehen werden und deshalb nicht da sein sollen. Wir wünschen Sie uns weg, fürchten uns vor ihnen, verdrängen sie oder versuchen mit aller Macht, anders zu fühlen. Meistens werden sie aber größer und größer, je mehr wir versuchen sie weg zu schieben, sie ignorieren.
Vermeidung as fuck
Ich selbst war und bin auch immer noch Meisterin darin, etwas nicht fühlen zu wollen. Bestimmte Gefühle ganz zu vermeiden, sie zu verurteilen und sie zu verstecken, infrage zu stellen und mich dann selbst abzuwerten, wenn ich es nicht schaffte, sie in den Griff zu bekommen. Ich wollte sie kontrollieren, war besessen von der Vorstellung, wenn ich nur lang genug übe, muss ich mich irgendwann nicht mehr so oder so fühlen. Auch das war ein Grund für die Therapie, die ich machen durfte – denn zu Beginn habe ich nicht einmal bemerkt was das Problem ist. Ich versuchte krampfhaft, bestimmte Gefühle zu vermeiden ohne dass ich das wusste. Ich strengte mich an und glaubte, wenn ich nur dies oder jenes tue, dann kommt diese Emotion nie wieder. Wenn ich nur jeden Tag jogge, dann wird sie bestimmt weg gehen, dann werde ich nicht mehr so wütend. Wenn ich jeden Tag Yoga mache, dann bin ich immer entspannt und gelassen, niemals nervös und angespannt. Wenn ich nur so und so oft meditiere, dann werde ich immer klar und fokussiert sein, niemals durcheinander. Daraus entstand ein immenser Leistungsdruck, der die Gefühle, die ich zu unterdrücken versuchte, nur verstärkte. Wie also können wir unsere Gefühle respektieren? Wie fühlen wir, was wir fühlen ohne uns dagegen zu wehren? Wie fühlen wir etwas, ohne es auszuleben? Wie können wir unsere Gefühle vielleicht sogar nutzen?
Achtsamkeit – was auch sonst?
Mein Verhalten war zuletzt schon sehr ausgeprägt und zu lernen, alle Gefühle zuzulassen ist natürlich wie das meiste andere auch ein Prozess. Mal klappt es gut, mal weniger gut. Geduld ist mal wieder wichtiger denn je. Ich wusste zu Anfang noch nicht einmal, was ich falsch machte. Ich verstand nicht, was der Unterscheid zwischen „es fühlen“ und „es ausleben“ ist. Besonders starke Gefühle, die uns überwältigen können, waren für mich schwierig. Wut und Aggression zum Beispiel waren für mich immer auch mit herum brüllen und körperlicher Aktivität verbunden. Auch heute gelingt es mir eher selten, das voneinander zu trennen. Bin ich wütend, ärgere ich mich über etwas, lasse ich es meist verbal heraus. Ich schreie es quasi heraus. Das muss nicht unbedingt an jemanden gerichtet sein, es reicht durchaus, wenn ich mir bei einem Dritten Unbeteiligten Luft machen kann. Solange man sich selbst oder andere nicht verletzt ist wohl das meiste auch vollkommen in Ordnung.
Um die eigenen Gefühle zunächst einmal einfach da sein zu lassen ist eine gewisse Achtsamkeit sehr wertvoll, denn ohne diesen Abstand finden wir uns selbst mehr oder weniger tief in unserem Verhalten wieder, was auf das Gefühl folgt. So bemerken wir vielleicht erst, dass wir wütend sind, wenn wir schon lauthals jemanden anschreien oder dass wir Angst haben, während wir bereits weg laufen. Achtsamkeit und Meditation können wir nutzen, um uns selbst immer wieder aufmerksam zu beobachten und zu gegebener Zeit entsteht ein Raum zwischen einem Gefühl und einer Reaktion, den wir nutzen können um aktiv unser Handeln zu beeinflussen.
Kommt dann ein sehr großes und unangenehmes Gefühl in uns auf, beobachten wir es ganz genau. Mir selbst hat es ungemein geholfen, zunächst wieder und wieder auszusprechen, um welches es Gefühl es sich handelt oder „Ich bin xy“ z.B. ich bin wütend zu wiederholen. Damit konnte ich dann nach einer gewissen Zeit arbeiten. Wir beobachten nicht nur das Gefühl sondern auch uns selbst sehr genau. Wo fühle ich das Gefühl? Wie fühlt es sich an? Sitzt es irgendwo oder wandert es? Was macht mein restlicher Körper, wo spanne ich mich an? Welche Gedanken habe ich dazu?
Es ist sehr hilfreich sich darauf zu fokussieren, wie sich das Gefühl auf körperlicher Ebene anfühlt. Denn das lässt uns den Unterschied erkennen, dass wir nicht selbst das Gefühl sind, sondern dass wir es nur haben, dass wir nicht aus ihm bestehen und es wieder gehen wird. Das zu üben und immer zu wiederholen, wenn eine enorme Emotion uns zu überwältigen droht macht den Unterschied.
Nutzen ziehen
Darüber hinaus habe ich im Laufe der Zeit aber fest gestellt, dass ich vielleicht gar nicht alles kontrollieren möchte. Einen Handlungsspielraum zu haben und sich aktiv entscheiden zu können, wie man reagiert ist großartig. Aber ich kann mich auch entscheiden mein Gefühl zu nutzen. Denn häufig gibt es einen berechtigen Auslöser, eine Grenzüberschreitung oder es will uns ganz einfach nur auf etwas wichtiges hinweisen. Besonders die vermeintlich negativen Empfindungen zeigen deutlich auf unsere Bedürfnisse. Und wenn wir diese nicht so oft respektieren, wie wir sollten ist es vielleicht an der Zeit das Gefühl zu nutzen und etwas daraus zu machen. Wenn ich wütend werde, kann ich beispielsweise besser für mich selbst einstehen und es fällt mir plötzlich deutlich leichter zu sagen, was ich eigentlich wirklich sagen will. Wut setzt eine Menge Energie frei, die vielleicht für etwas nützlich sein kann. Meine Angst beschützt mich vielleicht davor etwas zu tun, was ich gar nicht wirklich tun möchte. Mein Trotz schützt mich möglicherweise davor ausgenutzt zu werden. Meine Traurigkeit lässt mir die Zeit die ich brauche, um mich von etwas zu verabschieden, was mir wichtig war. Mein Zweifel schenkt mir die Möglichkeit, vernünftig über ein Vorhaben nachzudenken und eine intelligente Entscheidung zu treffen. Deshalb ist es sicherlich sehr wichtig, dass unsere negativen Gefühle auch gefühlt werden wollen. Und wenn ich mich nicht vor ihnen fürchte, kann ich sie respektieren und sie nutzen.