Erwartungen oder Bullshit?

Immer wieder werden wir mit Erwartungen konfrontiert. Im Alltag, im Umfeld und gerne auch nur in unserem Kopf. Was Andere von uns erwarten könnten, was sie denken, was sie sagen könnten wenn wir etwas bestimmtes tun oder eben nicht und was sie eventuell an Ansprüchen an uns stellen ist eine Art innerer Kompass, dem wir zu folgen versuchen, obwohl er niemals nach Norden zeigt. Denn tatsächlich handelt es sich in den meisten Fällen nur um unserer eigenes Hirn und alte Konditionierung, die uns intrinsisch antreibt. Unser innerer Wächter schaut mit hochgezogenen Schultern von links nach rechts und sucht praktisch ein Hindernis, ein „das darfst Du aber nicht“. Aber was sind denn eigentlich Erwartungen, was sind Ansprüche und was davon existiert tatsächlich? Warum spielt sich das meiste davon nur in unserem inneren ab? Woher stammen diese Muster und wie können wir besser damit umgehen?

Ich sitze an meinem Laptop und lade Bilder auf meine Website hoch. Sie ist noch ganz neu, ganz frisch und nicht veröffentlicht. Trotzdem bin ich stolz wie Oskar. Die Seite ist sicherlich professionell betrachtet nicht perfekt – für mich aber ist sie es. Denn ich hab das alles selber gemacht, obwohl ich zu Anfang von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Schritt für Schritt habe ich mir Internetseiten durchgelesen, habe mir einen Kurs gekauft und angesehen und habe intuitiv einfach mal versucht, das Gelernte umzusetzen. Und siehe da: Ich habe einen Blog. „Ist ja jetzt nichts sehr Neues für die Welt“ wertet mein innerer Radiosender gleich mal ab – muss wohl auf der falschen Frequenz laufen der Gute. Erstmal kritisch darauf schauen und mich schon mal wappnen für etwaige Kritik, die aus dem Außen kommen könnte. Ja, einen Blog haben sicherlich einige Menschen, aber für mich ist es etwas ganz neues und ich habe es selbst gemacht – eigentlich freue ich mich, wenn ich es mir denn selbst erlaube. Ich will die Seite gern veröffentlichen, aber etwas in mir hält mich zurück. Ist noch nicht fertig, da geht noch was. Außerdem findet die Seite sowieso niemand, ohne dass ich ihn darauf aufmerksam mache. Hm…Instagram wäre da wohl eine gute Idee. Aber traue ich mich das? Wage ich es, mich und meine Themen dort zu präsentieren, in eine Kamera zu sprechen? Was denken die Anderen von mir? Erwarten sie Themen von Persönlichkeitsentwicklung, Yoga-Philosophie und Spiritualität denn überhaupt von mir? Oder fragen sich dann alle meine Freunde: was ist denn mit ihr los? Ich schiebe diese Idee also erstmal auf „irgendwann“ und lasse mich zumindest ungesehen nicht beirren. Trotzdem ploppt innerlich immer wieder auf: „Erwartet mein Umfeld nicht etwas völlig anderes von mir? Passt das ins Bild?“

Echt oder eingebildet?

Was generell die Gesellschaft, die Eltern, die Freunde oder die Nachbarn von uns erwarten könnten, hemmt uns oftmals das zu tun, was wir gerne machen möchten. Zumindest hat uns in Vergangenheit irgendjemand mal sein Weltbild aufdrücken wollen und heute tragen wir es mit uns herum, als wäre es unser eigenes. Schade daran ist, dass wir es oftmals gar nicht bemerken. Seit es mir bewusst ist, frage ich mich oft: Moment, was ist meine eigene Sicht dazu? Ist es mein Anspruch oder der eines anderen? Und ich bin selbst verblüfft wie häufig die Antwort „nicht meins“ lautet. Sich um alle möglichen Leute in seinem Umfeld zu kümmern, nicht Nein sagen zu dürfen, dem generellen Bild zu entsprechen, was vielleicht ein anderer von uns hat: all das hemmt uns innerlich. Wir möchten den Erwartungen gern gerecht werden, niemanden enttäuschen und das alles, weil wir geliebt und nicht abgewiesen werden wollen. Diese Angst ist sogar irgendwie berechtigt, denn wie oft führen wir Gespräche, in denen wir das Verhalten eines Dritten unter die Lupe nehmen, es bewerten und kritisieren? So oft wird das Verhalten mit eigenen Limitierungen abgeglichen, natürlich unbewusst und unter vorgehaltener Hand. Wenn uns jemand anderes dann aber noch real spiegelt: Komisch, das kann man doch so nicht machen, nehmen wir es und stülpen es uns über aus Angst, sonst nicht liebenswert zu sein. Dies hat zwar im Kern gar nichts mit uns sondern mit dem Anderen und seinen inneren Grenzen zu tun, aber wir nehmen es an. Es gibt also einerseits Ansprüche, die das Umfeld tatsächlich an uns stellt und andererseits Erwartungen, die innerlich ablaufen und vielleicht gar nicht mehr aktuell sind.

Vor einiger Zeit war mein größter Traum auf Reisen zu gehen, zeitlich unbegrenzt, Freiheit pur. Ich fand diese Vorstellung fantastisch und wollte unbedingt mal etwas anderes sehen, meinen Alltag verlassen. Ich kündigte meinen guten, sicheren Job mit bereits 29 Jahren – was durchaus etwas unüblich ist. Zumindest habe ich selbst den Eindruck, dass sich mehr Menschen eher festigen und binden, je älter sie werden. Es gab auch tatsächlich Kommentare, Fragen und Unterhaltungen mit Kollegen und Bekannten, aus denen Unverständnis sprach. „Sowas machen wir nicht mehr“ ließ mich eine Kollegin wissen, als ich mit ihr über die bloße Vorstellung sinnierte. Dafür seien wir zu alt, das sei was für Studenten. Ein großartiges Beispiel dafür, dass das ihre eigenen Bewertungen waren und nicht meine. Dennoch verunsicherte mich die Aussage. Noch größere Ratlosigkeit im Umfeld stellte sich ein, als ich auf meine Reise folgend Im Einzelhandel als Verkäuferin anfing und den größten Spaß seit Ausbildungszeiten hatte. Mein gelernter Beruf Bankkauffrau – besser bezahlt und sicherer- gegen den der Verkäuferin einzutauschen war für sehr viele Menschen völlig verblüffend. „Aha jetzt arbeitest Du dort im Management dann aber oder wie?“ „Nein, als Verkäuferin auf der Fläche.“ „Ähm, aber deine Qualifikation ist doch viel höher, du könntest doch etwas besseres haben!“ Nun, „Besser“ kommt in so einem Fall auf die Perspektive an, von der aus man das Thema betrachtet. Ich für meinen Teil hatte an Job und Kollegen einen solchen Heidenspaß, dass ich zu meiner eigenen Überraschung 3 Jahre da blieb und es einfach liebte. Es war so völlig anders als der Bürojob bisher. Diese Erwartungen bzw. die Enttäuschung darüber, diese nicht zu bedienen wurden mir tatsächlich durch einen Teil meines Umfeld vermittelt.

Andere Erwartungen hingegen sind nicht wirklich da, oder nicht mehr. Sie sind etwas, was Petra Bock als „Mindfuck“ bezeichnet und ich finde, passender kann man es nicht ausdrücken. Es sind eigene Gedanken, die mit Werten aus der Vergangenheit gefüttert werden, mit denen wir uns aber heute selbst Angst machen und ausbremsen. Gewisse Dinge gehen einfach nicht, darf man nicht und gehören sich nicht. Es findet ein innerer Abgleich mit dem Erlernten statt. Wir halten uns selbst auf, weil wir darauf konditioniert wurden oder weil wir uns angepasst haben. Wir richten unseren Kompass danach aus, was wir glauben, was andere von uns erwarten könnten, um zu gefallen und nicht negativ aufzufallen. Das Ganze ist ein Konzept der Überanpassung. Viele von uns übernehmen eine Verantwortung, die gar nicht allein auf sie fällt. Sie glauben, des anderen Erwartungen erfüllen zu müssen um gemocht zu werden und haben schlicht eine große Angst vor Ablehnung. Niemand von uns mag es abgelehnt zu werden, das miese Gefühl kennen wir alle. Aber sensiblere und besonders harmoniebedürftige Menschen haben hier eine besonders große Wunde, weil sie als Kind vielleicht in bestimmten Verhalten durch ihre Bezugspersonen abgelehnt wurden. Und nun schützen sie sich davor, wieder verletzt zu werden indem sie versuchen so gut wie möglich zu erspüren, was von ihnen erwartet werden könnte, um zu gefallen.

Und nu?

Was kann uns also hier helfen um uns besser von den Meinungen anderer abzugrenzen? Um besser mit den vermeintlichen Erwartungen unseres Umfeldes umzugehen und um überhaupt zu erkennen, was unser eigenes ist und was nicht?
Ganz oft haben wir hier nur deshalb einen Konflikt, weil wir Angst haben nicht gemocht zu werden, wenn wir unseren eigenen Werten folgen. Manchmal wissen wir auch noch gar nicht, was unsere eigenen Werte überhaupt sind. Wir sind so beschäftigt damit, unsere Antennen auszufahren und zu erspüren was andere sich wünschen, dass wir uns vielleicht noch gar nicht damit beschäftigt haben. Zu wissen, was ich selbst eigentlich will und dann einen Perspektivwechsel vorzunehmen hilft mir aus dem Kreislauf auszusteigen. Hier nochmal konkret ein paar Tipps:

  1. Schriftliche Bestandsaufnahme: Welche Situationen bereiten mir immer wieder Probleme? Wann bemerke ich ein einengendes Gefühl? Wann habe ich den Impuls, eigentlich anders reagieren zu wollen? Was wollte ich schon immer mal tun, habe aber Angst was andere darüber denken?
  2. Werte feststellen (das habe ich hier schon öfter angeraten und tue es gerne erneut): Rufe Dir eine Liste von Werten im Internet auf und notiere Dir zuerst 10 Werte, die dich ansprechen. Dann sieh sie Dir an, fühle in Dich hinein und streiche die weg, die weniger wichtig als andere sind oder die eine große Ähnlichkeit mit weiteren Werten haben, bis du 3-5 übrig hast. Werte funktionieren wie ein Anker. Wenn du ihn geworfen hast, dann lässt sich dein Boot nicht mehr so wild von den Wellen des Umfeldes von links nach rechts werfen – es schwankt weniger und kommt nicht von seinem Kurs ab. So kennst Du Deine Werte, denen du folgen und die Du vertreten möchtest. Du kannst so abwägen, wie dein künftiges Verhalten nun aussehen soll. Vor allem aber erkennst Du, ob es Dein Eigener Anspruch ist oder nicht.
  3. Erkennen und Perspektive wechseln: Hast du erkannt, dass hier ein Anspruch gestellt kannst du Dich fragen: Ist das meins? Was denke ICH eigentlich dazu? Wie sehe ich das? Wir geht es mir damit? Was brauche ich? Du änderst deine Sicht vom unbewussten buckeln zum bewussten Überlegen, was Du eigentlich möchtest und ob Du etwas wirklich wichtig findest oder ob es gar nicht Deins ist. Wenn Du erkennst, dass es sich um Fremdes handelt kannst du es los lassen.
  4. Training und Deine eigene Erwartung möchte ich hier auch gerne noch ansprechen. Natürlich ist es mal wieder ein Prozess, der aus Geduld und Übung besteht, um sich Stück für Stück von veralteten und fremden Erwartungen zu befreien. Vielleicht fühlt es sich auch mal merkwürdig an. Glaub mir: Du hältst das aus, schiebe es nicht weg sondern versuche, damit zu sein. Es geht vorbei. Sei Dir bitte außerdem bewusst, dass andere ihre Erwartungen vielleicht auch behalten wollen und Du möglicherweise nicht immer auf Verständnis uns Unterstützung stößt. Kann passieren, denn jeder hat ja seine eigene kleine Welt. Auch das schaffst Du, wenn es auch sicherlich ein wenig ungewohnt ist.

Übrigens möchte ich hier als Fazit noch etwas sehr Beflügelndes berichten, denn der Instagram-Account steht ja nun seit geraumer Zeit ebenso wie die Website. Natürlich gibt es auch den ein oder Anderen, der schlicht nicht so viel damit anfangen kann und nicht recht weiß, was er dazu sagen soll. Aber die Meisten meiner Familie und Freunde haben Positiv reagiert, was zeigt wie viel von dem angeblichen Erwartungen der Anderen nur in meinem Kopf statt findet. Die ersten Follower sind Familienmitglieder und Freunde gewesen, die – auch wenn der thematische Inhalt gar nichts für sie ist – liken was das Zeug hält – einfach um mich zu unterstützen. Und das ist der Hammer, ich freue mich unendlich darüber 🙂 Ich danke Euch von ganzem Herzen.

Quellen: Petra Bock: Mindfuck – Warum wir uns selbst sabotieren und was wir dagegen tun können; Stefanie Stahl: Das Kind in Dir muss Heimat finden

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