„Gut Ding will Weile haben“ – kennt Ihr dieses Sprichwort, sagt Euch das was? Die meisten von Euch werden es bestimmt schon mal gehört haben. Es ist ein altes Sprichwort aus dem Volksmund und enthält eine alt bekannte Lebensweisheit und zwar: Alles braucht seine Zeit, wenn es gelingen soll. Man kann auch sagen „in der Ruhe liegt die Kraft“ oder „Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut“. Es gibt noch viele solcher Redewendungen, die darauf hinweisen, dass wir geduldiger mit uns und unseren Vorhaben umgehen sollen. Besonders heute in unserer modernen Welt, wo es einem manchmal ganz schwindelig werden kann unter all den Informationen, Möglichkeiten und Neuerungen ist diese alt bekannte Weisheit vielleicht wichtiger denn je.
Heute soll es vor allem darum gehen, Euch selbst gegenüber geduldig zu bleiben. Wenn wir etwas neues Lernen egal ob im Außen oder im Innen brauchen wir Geduld mit uns selbst. Grade wenn wir versuchen, ein neues und für uns ungewohntes Verhalten auszuprobieren, fühlt sich das zu Anfang auch gerne eben ungewohnt an. Es gelingt nicht gleich oder aber fast noch schlimmer: Es gelingt! Aber es ist so neu für uns, dass es sich einfach verkehrt anfühlt. Um mal ein konkretes Beispiel zu nennen: Ein großes und immer wiederkehrendes Thema bei mir persönlich ist das Grenzen setzen sprich: Nein zu sagen. Tritt also z.B. eine Freundin auf mich zu und fragt ob ich Lust habe heute Abend ins Kino zu gehen, ist es für mich je nach Tagesform schon die erste Herausforderung überhaupt wahrzunehmen, was mein Bedürfnis dazu überhaupt ist. Ich bin es gewohnt, erstmal nur sie und ihren Wunsch zu sehen, weil ich gemocht werden und sie nicht verletzten will. Mein erster Teilerfolg ist also, wenn ich mich selbst überhaupt bemerke bevor ich automatisch „Ja, klar!“ antworte. Ich bemerke aber, dass ich auf Ihren Vorschlag keine Lust habe und dann wird es richtig tricky: Jetzt muss ich hier nein sagen und damit ihre Erwartung enttäuschen. Um mir also auch selbst eine gute Freundin zu sein und mich von meinem alten Muster zu lösen, traue ich mich und sage: „Nein, dazu hab ich heute keine Lust.“ – und fühle mich total beschissen dabei. Darauf folgt dann auch noch ein Gefühl von Wut, denn ich habe doch jetzt eigentlich getan, was ich gelernt habe. Ich soll mich besser um mich und meine Bedürfnisse kümmern, um langfristig freier und glücklicher zu sein. Ich erwarte also, dass ich mich jetzt stolz, erleichtert oder sonst irgendwie gut fühlen sollte. Aber ich fühle mich merkwürdig und es bahnt sich auch schon ein schlechtes Gewissen an. Irgendwie nicht so ein Erfolg. Und, dass ich mich jetzt so unwohl dabei fühle lässt mich dann natürlich für die Zukunft mit mir hadern, ob ich denn überhaupt Bock darauf habe, mein Vorhaben hier weiter zu verfolgen.
Zum Einen hat das hier natürlich auch mit meiner Erwartungshaltung zu tun, denn konditioniert wie ich nun mal bin erwarte ich eine Belohnung auf meine Anstrengungen – in Form eines guten Gefühls. Zum Anderen fühlt es sich aber eben auch einfach ungewohnt an, anders zu handeln also sonst. Das ist zwar ganz normal, kann uns aber auch zum scheitern verurteilen. An dieser Stelle kommen dann Geduld und Wiederholung ins Spiel. Ich glaube, zunächst darauf vorbereitet zu sein, dass es nicht gleich zu dem gewünschten Erfolg kommt, ist schon mal die halbe Miete. Wenn Ihr also wisst und auf der logischen Ebene verstanden habt, dass es nicht direkt der totale Erfolg sein wird, könnt Ihr Euch darauf vorbereiten und wohlwollend erkennen, dass Gut Ding eben Weile haben will. Und es ist auch vollkommen okay das erstmal total blöd zu finden, sich vielleicht auch zu ärgern. Ist ja auch blöd, unter all der getanen Anstrengung sein alt bekanntes Muster zu durchbrechen und kein Erfolgserlebnis zu haben. Erst nach ein paar geduldigen Wiederholungen wird sich nach und nach ein angenehmes vielleicht auch stolzes, freudiges und euphorisches Gefühl in Euch breit machen. Und wenn Ihr das dann wahr nehmt, werdet Ihr sicherlich stolz auf Euch sein.
Bei mir persönlich ist das ein schleichender Prozess gewesen. Erst nachdem ich zum xten Mal Nein gesagt hatte, stellte sich nur ein „normales“ Gefühl ein und erst eine halbe Stunde später realisierte ich dann: Moment mal, jetzt hab ich mich ja gar nicht mehr unwohl gefühlt. Und dann breitete sich so ein erleichtertes und auch stolzes Lächeln auf meinem Gesicht aus, ich fühlte mich total erfreut und auch dankbar, dass ich jetzt die Lorbeeren für meine Anstrengungen ernte. Dass es jetzt leichter sein wird und wenn ich weiter übe, das Gefühl noch besser wird.
Also Ihr seht: der ganze Prozess von persönlicher Weiterentwicklung lebt von Übung und Wiederholung und auch mal auszuhalten, wenn Ihr Euch komisch dabei fühlt. Dazu kann es dann auch noch den ein oder anderen Störfaktor geben wie z.B. eine Grübelattacke. Gerade in Beziehungen zu anderen Menschen spielen ja nicht nur unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche eine Rolle sondern auch die unseres Gegenübers. Und natürlich auch, was wir in ihn oder sie so alles hinein interpretieren.
Bleiben wir bei dem Beispiel mit dem angefragten Kinoabend: Ich hab hierbei so ein tolles und überhaupt nicht zielführendes Feature, dass ich das für mich unübliche und irgendwie schlechte Gefühl nach dem Nein sagen mit wenig wertvollen Gedanken füttere. Ich gehe dann in eine Schleife des Grübelns – meistens erst später, nachdem die Situation schon längst vorbei ist, was besonders sinnlos ist. Dabei überlege ich, was wohl die vermeintlichen Gedanken und Gefühle meiner Freundin sind. Dabei frage ich mich, was sie wohl jetzt über mich denkt, ob sie sauer ist und es nicht sagt, ob sie mich trotzdem noch mag. Ich bausche das noch auf und steigere mich weiter rein, indem ich mir sage, dass ich mich um meine Freundschaften kümmern muss, meine Freundin bestimmt Langeweile hat und ganz enttäuscht von mir und ihrem Abend allgemein ist. Das kann zu einem so schweren Gefühl von schlechtem Gewissen führen, dass ich es nicht aushalte und am Ende meinem alt bekannten Muster folge, um mich wieder besser bzw. normal zu fühlen. Ich rufe sie an und frage ob sie doch noch Lust hat oder rudere beim nächsten mal gleich wieder zurück.
So eine Gedankenschleife oder auch Karussell passiert immer dann, wenn wir mit dem Verstand etwas lösen wollen, was eigentlich auf der Gefühlsebene statt findet. Wir fühlen uns mies und unser Verstand liefert dazu passende Gedanken, die im Grunde nur das unangenehme Gefühl eliminierten wollen.
Wie aber stoppt Ihr so ein Gegrübel? In solchen Situationen könnt Ihr Euch innerlich „Stopp“ sagen und Euch möglichst auch ein passendes Bild in Form eines Stopp-Schildes vorstellen. Das unterbricht die Gedankenschleife und Ihr könnte euch aktiv etwas anderem zuwenden. Oder Ihr sprecht euch selbst beruhigend zu, dass Ihr dieses Gefühl aushaltet, dass ihr das könnt und es wieder vorbei geht. Je nachdem wie tief Ihr bereits in der Schleife drin steckt ist es natürlich umso schwerer sie zu unterbrechen. Meditation hilft uns dabei, das aufkeimende Gegrübel schon früh zu erkennen und im besten Fall gar nicht erst starten zu lassen.
Mir persönlich hilft es schon zuvor sehr, meine Wünsche vernünftig und offen zu kommunizieren, weil die Art und Weise wie wir „nein“ sagen eine große Rolle spielt wie unsere Message beim anderen ankommt. Anstatt also nur plump: „nee, keine Lust!“ zu sagen, formuliere ich das ein bisschen freundlicher: Ich bedanke mich für den Vorschlag, wertschätze die Idee und ggf. entschuldige ich mich sogar. Alles, was es in dem Augenblick für Euch leichter macht ist erlaubt – natürlich nach euren Werten handelnd. Bei mir ist so ein Wert z.B. Ehrlichkeit – Lügen wäre also keine Option. Ihr könnt auch gleich einen Gegenvorschlag einbauen, wenn Ihr ein Anderes Ziel oder einen anderen Zeitpunkt im Auge habt oder Ihr macht euch erstmal etwas Luft indem Ihr sagt: Lass uns das gern ein andermal machen, wir telefonieren nochmal. So müsst Ihr das nicht mehr heute planen und könnt Euch in Ruhe über Eure Wünsche bewusst werden. Ein absoluter Gamechanger für mich persönlich ist beim Suchen und Formulieren der eigenen Antwort, um Geduld zu bitten. „Lass mich kurz darüber nachdenken“. Am Anfang völlig ungewohnt und um das für Euch zu etablieren könnt ihr Euch so einen Satz der immer passt gern schon mal vor formulieren und ihn dann zu gegebener Zeit aus Eurem Hut zaubern. So habt Ihr dann kurz Zeit, Euer Bedürfnis und die Antwort wahrzunehmen und auch möglichst passend und wertschätzend für Euch zu formulieren. Ihr Könnt auch Eure Freundin fragen, ob das ok für sie ist oder ob sie einverstanden ist. Hier soll es nicht um Rechtfertigung oder Erlaubnis gehen, sondern einfach darum, wie Ihr Euch gerade am Anfang wohler in der ungewohnten Situation fühlt. Und wenn dabei eine Frage für Euch am besten passt ist das auch okay. So gebt Ihr Eurem Gegenüber die Möglichkeit seine wahren Gefühle dazu zu äußern und braucht nicht mehr herum interpretieren. So seht Ihr nicht nur Euch selbst sondern wertschätzt Euer Gegenüber und gebt ihm Raum, auch seine eigene Meinung dazu zu haben.
Im besten Fall hat er Verständnis. Im schlimmsten ist er sauer. Aber auch hier habt Ihr dann wenigstens die Möglichkeit damit umzugehen und Einfluss darauf zu nehmen. Euch zu erklären vielleicht oder wer an dieser Stelle oder gleich zu Anfang besonders mutig ist, kann natürlich auch vollkommen ehrlich sein und sagen: Ich weiß das ist jetzt ungewohnt dass ich nein sage und ich fühle mich dabei auch mega komisch und habe Angst dass Du das blöd von mir findest, weil ich Dich natürlich nicht vor den Kopf stoßen möchte, kannst Du das verstehen? So begebt Ihr Euch in eine völlige Offenheit und das ist sicherlich am Schwersten weil wir es kaum gewohnt sind, emotional völlig blank zu ziehen. Dafür muss man auch selber erstmal wissen, was man denn genau empfindet und das ist manchmal ohne Bedenkzeit gar nicht so einfach herauszufinden. Aber das kann am Ende auch dazu führen, dass wir es uns selbst leichter machen, das Nein auszusprechen.
Generell gilt: Beim Lernen neuer Dinge muss man nicht nur liebevoll zu sich selbst sondern auch besonders geduldig mit sich sein, damit irgendwann – bei dem einen früher beim anderen später – erfolgreich das Ziel mit einem angenehmen Gefühl erreicht wird und wir so besser für uns selbst und so dann auch für andere sorgen können. Es ist also ganz normal, dass sich nicht gleich alles leicht, toll und großartig anfühlt. Fühlt Euch hier an dieser Stelle gesehen, Ihr seid nicht alleine wenn Ihr struggelt und nicht alles auf Anhieb gelingt, wenn Ihr mehrere Versuche braucht und mehr Zeit und Geduld, als erwartet.
Ihr seht, das sind alles Herausforderungen auf unserem Weg, die wir erst nach und nach kennen lernen. Wir probieren hier am Besten mal aus, was für uns am Besten funktioniert. Ich möchte hier nochmal versuchen, das Wichtigste zusammen zu fassen: Neben dem Grundsätzlichen – Geduld und Wiederholung helfen:
• Die Kenntnis über die Störfaktoren wie Unwohl fühlen oder Grübelattacke
• Sich selbst gut zureden oder in einer Schleife „Stopp“ sagen
• Vernünftige, offene Kommunikation
• Um Geduld bitten / Frage stellen
• Achtsamkeit und Meditation
Ich hoffe, dass Ihr auch aus diesem Beitrag etwas für Euch mitnehmen konntet, was Ihr für Euren ganz eigenen Weg braucht. Natürlich freue ich mich auch über Fragen und Anregungen und für einen Austausch lade ich Euch herzlich ein, mir auf Instagram @open_your.soul zu folgen. Ich wünsche Euch allen den Mut, Eure Seele zu öffnen. Alles Liebe und bis bald, Eure Julia