„Dieser neuartige Selbstliebe-Wahn wird uns noch mehr voneinander trennen!“, lese ich mit gerunzelter Stirn einen Instagram Beitrag. „Und das, wo wir doch Gemeinschaft brauchen. Mehr denn je!“ Das stimmt, denke ich, wir brauchen Gemeinschaft. Dennoch, der Autor beschreibt weiter ganz lebhaft seine Angst vor den dramatischen Konsequenzen der Selbstliebe: Etwas, was er nur noch nicht recht verstanden zu haben scheint…
…denn die Verantwortung zuerst für sich selbst zu übernehmen, findet er schwierig. All das – unter dem Deckmantel der Selbstliebe – würde uns nur weiter voneinander entfernen. Ein solch falsches Verständnis, bei dem Selbstliebe mit Egoismus gleichgesetzt wird, begegnet mir gar nicht so selten. Die Deutung des Wortes ist irgendwo falsch abgebogen und dabei heraus kommt Ablehnung. Aber die Selbstliebe soll uns natürlich nicht voneinander entfernen. Im Gegenteil. Doch alles beginnt nun einmal bei Dir selbst.
Selbstliebe vs. Egoismus
Selbstliebe ist per Definition die uneingeschränkte Annahme Deiner selbst. Ein Teil von Dir wendet sich immer Dir selbst zu – auch wenn Du Fehler machst oder schlecht drauf bist. Du erkennst Deinen eigenen Wert, ohne eine Bestätigung von außen zu benötigen. Du weißt, dass Du liebenswert bist, einfach so wie Du bist. Und das ist etwas wunderbares. Natürlich kann das auch falsch verstanden werden, denn es bedeutet nicht, dass Du unfehlbar bist, ein Arsch sein darfst und nicht mehr an Dir arbeiten brauchst, einfach weil Du ja liebenswert bist. So ist das natürlich nicht gemeint. Aber Du bringst Dir (und dadurch auch anderen) Liebe entgegen, machst Dich selbst nicht mehr für Kleinigkeiten fertig. Ein Teil von Dir weiß, wie wertvoll Du bist.
Egoismus hingegen strebt danach, sich selbst und seine Wünsche durchzusetzen, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Der eigene Vorteil wird hier in den Vordergrund gestellt, dieses „ich will aber!“ Dies macht sich immer dann bemerkbar, wenn Du aus einem Mangel heraus agierst. Dein Ego hat durchaus eine Daseinsberechtigung: in der Entwicklung brauchst Du es, um Dich abzugrenzen und zu erkennen, wo Du aufhörst und ein anderer anfängt. Aber eben aus diesem Egoismus heraus zu handeln bedeutet, Du hast nur Dich selbst im Blick – während Du das Wohl anderer dabei entweder gar nicht auf dem Schirm hast oder sogar bewusst ignorierst.
Wenn Du dich selbst annehmen kannst, wie Du bist, ist das Selbstliebe. Diese bedeutet, dass Du Dich um Dich selbst sorgst und kümmerst. Zu hoffen, dass jemand anderes die Verantwortung für Dich und Dein Wohlbefinden übernimmt, weil Du das ja auch für andere tust, ist leider schwierig. Denn Du weißt nicht, ob es tatsächlich jemand auf sich nehmen wird. Nimmst Du es hingegen selbst in die Hand, kannst Du Dir sicher sein, dass gut für Dich gesorgt wird. Und dadurch hast Du eben auch viel mehr Energie. Diese kannst Du nutzen, um Dich auch um andere zu kümmern.
Falsche Motivation
Oft tun wir Menschen aber eben dieses Kümmern um andere aus einer falschen Motivation: wir glauben, wir müssten das tun, um geliebt zu werden. Denn ohne unsere Bemühungen sind wir eben nicht liebenswert. Und deshalb geben wir alles, bis wir eigentlich selbst nichts mehr zu geben haben. Das ist das Gegenteil von Selbstliebe.
Und die Konsequenzen dessen können wir deutlich in unserer Gesellschaft erkennen: Sie machen uns leider nicht gesünder. Einige geben so viel, dass sie sogar krank werden. Und das aus der Angst heraus, mehr tun zu müssen, mehr leisten zu müssen, damit sie im Außen jemand lieb hat. Anerkennt. Ihren Wert sieht.
Aus Liebe, nicht aus Mangel!
Und genau da setzt Selbstliebe an: Wir erkennen unseren Wert, ohne dass dieser an eine Leistung gekoppelt ist. Wir lernen, uns selbst liebenswert zu finden, ohne etwas dafür tun zu müssen. Das soll nicht heißen, dass die Gemeinschaft und Verbundenheit zu anderen Menschen darunter leiden soll. Nur begegnen wir anderen Menschen dann nicht mehr aus einem Mangel, sondern aus Fülle. Aus Liebe. Das ist ein großer und wichtiger Unterschied. Und mal im Ernst: Was glaubst Du hat mehr Kraft? Welche Verbundenheit ist tiefer? Die, die Du eingehst, weil Du musst? Weil Du sonst nicht genug geliebt und anerkannt wirst? Oder die, die ganz von allein aus Dir heraus entsteht? Weil Du Dich selbst magst und so vieles in anderen Menschen erkennen kannst?
Ein tolles Sinnbild für Selbstliebe ist die Sauerstoff-Maske im Flugzeug. Hier wirst Du zu Anfang eines jeden Fluges eingewiesen: Kommt es zu einem Druckabfall, setze Dir als erstes selbst die Maske auf, erst dann helfe anderen dabei. Und genau das ist mit Selbstliebe gemeint. Es nützt schließlich keinem mehr was, wenn Dir zuvor die Luft ausgeht und Du keinem mehr helfen kannst.
Und ganz ehrlich: noch nie habe ich jemanden im Flugzeug empört aussteigen sehen, weil er fand, das sei egoistisch und würde uns voneinander entfernen.